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22.06.2019 - Maurice Brocco 400 - Follow the magenta line

...es geht um nix, das ist ja das Schöne. 400K in 24h, that's it... das war meine Antwort auf die Frage nach dem "Maurice Brocco 400"

Nachdem ich bei einer Berliner Radbloggerin von der Veranstaltung gelesen hatte, fand ich mich am 22.06.2019 um 10:30 Uhr im Roten Stern im alternativen Leipziger Süden ein. Von hier sollte der 400er zu Ehren von Maurice Brocco - dem ersten Domestiken des Radsportes der am 26.06.1965 starb - starten. Die Organisation war betont lässig und die im diesen Jahr zugelassenen 105 Starter dem Umfeld entsprechend meist jung. Man kannte sich. Ich gehörte zur Minderheit der Älteren wurde jedoch sehr freundlich aufgenommen. Erstaunlich viele Frauen stellten sich der Herausforderung. Da könnten die Randonneure, mit denen ich sonst auf die Langstrecke gehen, sich ein Scheibchen abschneiden.

Mit dem angemessenen akademischen Viertel Verzögerung setzte sich der unsortierte Peloton um 12:15 in Bewegung. Bis zur Stadtgrenze hielten sich alle noch zurück aber dann begann die vom Rückenwind unterstützte Hatz nach Weimar.

Wir folgten dem von Coco, dem sympatischen Veranstalter, zur Verfügung gestellten Track, wobei sich das Peloton mit jeder Richtungsentscheidung in immer kleinere Grüppchen zerlegte. Als ich in Naumburg nach 55K als Einziger an einer Tankstelle hielt um meine Zuckerversorgung in Form eines Donuts und einer Cola vorsorglich sicherzustellen war ich erstmal allein auf der Strecke. Bei so vielen Teilnehmern trifft man jedoch immer wieder Kollegen und so verging die Fahrt über Bad Sulza und Apolda nach Weimar schnell. Dort gab es bei K99,5 in der Gerberstraße bei "Gerber 1/3" den ersten Stempel, einen Teller Kartoffel-Möhrensuppe und viele fröhliche Gesichter. So macht das Radwandern Spaß.

Eine Zeit lang fuhr ich nun mit einem gleichaltrigen Fahrer, der Probleme mit dem Routing seines Navi hatte. Da ich aus ähnlichen Erfahrungen klug geworden mittlerweile nur noch dem Track, also der einmal festgelegten und gespeicherten Strecke folge, war ich mir meiner Sache sehr sicher. Immer der magenta Line lang, ganz einfach. Das Routing des Kollegen berechnete fröhlich weiter immer mehr Kilometer zum Ziel. Dies sollte sich bis zur dritten Stempelstelle in Zorge am Fuße des Harzes nicht ändern. Der Kollege behauptete sogar dort noch das meine Navigation falsch sei. Soweit geht Technikgläubigkeit.

Durch einige hübsche nordthüringische Städtchen ging es dann auf den Kyfhäuser und zur zweiten Kontrolle am Kulpenberg, K166. Nach dem etwas zähen Aufstieg bei doch recht warmen Temperaturen um die 30 Grad - das war mal ein richtiger Berg - gab es wieder ein freundliches liebevolles Hallo und drei Stullen und ein Becher Bier (alkoholfrei) zur Kräftigung. Das durchgeschwitzte T-Shirt gewechselt, die Windjacke und Warnweste an und schnell waren die so mühevoll eroberten Höhenmeter auch schon wieder abgefahren. Noch einen Tee und eine Bockwurst an der Tanke in Berga und gestärkt im Flow durch die in der Abendsonne ruhende goldene Aue.

Bei K216 in der Grundschule Zorge den nächsten Stempel geholt und in nunmehr schon etwas angestrengtere freundliche Gesichter geguckt. In 20 Kilometern wäre schon mit Schierke der Gipfel der Tour erreicht. Zumindest für mich, da ich vernünftigerweise die Variante ohne die freiwillige Bergwertung am Brocken wählte.

Mit diesem Gedanken im Kopf nahm ich die kommenden Anstiege unter die Pedale. Immer schön im eigenen Rhythmus gelang mir die Kletterei erstaunlich gut. Geht es das nächste Mal in die Berge habe ich sicherlich noch ein größeres Rettungsritzel an Bord. Der orientierungslose Kollege verlor dann auch noch mich als Navigator, da er an einer Kehre trotz Zurufs einfach weiter geradeaus fuhr. Als ich mich wunderte ihn nicht im Rückspiegel zu entdecken und mich auf die Suche machte war er den Hang Richtung Braunlage heruntergeeilt und ich hatte keine Chance mehr ihn einzuholen. Ich gab dem Begleitfahrzeug das ich wenig später passierte Bescheid und schloss mich einer Gruppe an auf die ich auffuhr.

Durch dunklen Wald ging es über Benneckenstein, Sorge und Elend nach Schierke. Selbst diese kleine Gruppe fuhr so unruhig und undiszipliniert, das ich mich, wiederum nach klarer Ansage der Strecke, weil wieder ein Navi mit Routing einen neuen Weg zauberte, dazu entschloß auf eine in den Anstiegen zurückbleibende Kollegin zu warten. Diese Fahrerin hat in der Ebene oft im Wind für die Gruppe gearbeitet und wurde hier zwischen Sorge und Schierke einfach zurück gelassen. Da sollten sich die jungen Leute mal bei den Randonneuren umsehen. Die bleiben in der Nacht zusammen und orientieren sich am Langsamsten, wenn die Pace nur irgendwie ähnlich ist.

Nach dem elenden Anstieg aus Elend trafen wir die Gruppe in Schierke wieder. Nun begann die wunderbar lange Abfahrt nach Wernigerode, auf der mein vorher heißgelaufener Körper bitterlich fror. Die Beinlinge habe ich dann bei Checkpoint 4 im romantischen Kloster Ilsenburg angezogen, weil ich die leckeren Nudelsalate mit zittrigen Händen kaum essen konnte.

Die Pause tat gut und so machte ich mich von hier aus alleine auf in die restliche Nacht. Endlich fuhr ich meinen Rhythmus und gewann Kilometer um Kilometer. Bei Hoym stieg die Sonne über den Horizont und ich genehmigte mir einen Morgentee. Über Aschersleben ging es ins schöne Saaletal und ich genoss eine meiner Hausstrecken. Zwischendurch traf ich auf die immer gleichen Gruppen und Einzelfahrer. Gesprochen wurde nicht viel aber es war immer ein freudiges Hallo.

Bei The Hunt in Halle, K384, unterhalb des Domes gab es dann für mich ein kurzes Frühstück. Schnell machte ich mich wieder auf, es waren nunmehr nur noch 43K ins Ziel. Der Rückenwind vom Vortag war nun zu lästigen Wind von Vorne mutiert. Aufhalten konnte mich das aber nicht. In der Delitzer Straße trudelten die Fahrer zur MZ Radpartie ein. Mit einem Lächeln nahm ich dies zur Kenntnis. Jeder stellt sich seinen Herausforderungen. Ich war fast im Ziel der meinigen. Follow the magenta line und so führte mich mein Track nach 428K um 10:52 verläßlich zum Roten Stern nach Leipzig zurück.

Dort erwartete mich wieder die freundliche bunte Schar nun ermatteter aber zufriedener Radler. Jeder Finisher wurde bejubelt. Auch der mir abhanden gekommene Kollege war erfreulicherweise da. Sein Navi brachte ihn unter Auslassung des Checkpoints Ilsenburg ins Ziel, immerhin. Ich gesellte mich für zwei leckere kalte alkoholfreie Biere und einen Teller Naturreis mit Irgendwas zu den jungen Helden auf der Wiese, wechselte die Klamotten und machte mich auf zum Bahnhof.

Die Frage nach dem Sinn stellte ich mir nur genau einmal in den vergangenen 24 Stunden. Das war am Anstieg auf den Kyfhäuser als ich fast im eigenen Schweiß ersoff. Da habe ich sie mit einer kurzen Pause, etwas Salz und einen paar Schluck Wasser beantwortet.

...das Schöne ist, es geht um nichts...

Text/Fotos:  Klaus Bentele