29.04.2019 - 34. Hamburg Marathon - Wiederholungsfaktor = 100%
Hier stehe ich wieder an der Startlinie beim Hamburg Marathon 2019, dem Ort meines bisher besten Marathon-Laufs. An die „Blue Line“ habe ich ausschließlich gute Erinnerungen. Ines ist hier Ihren ersten Marathon gelaufen und ich habe hier meine persönliche Bestzeit erreicht und die 3:30h Marke mit 3:27h deutlich unterboten.
Damals gab es Regen am Start und zwischendurch Hagel. Dies hatte mich nicht im Geringsten gestört und ich hatte einen Superlauf inklusive Endbeschleunigung hingelegt.
Nachdem ich letztes Jahr beim Leipzig-Marathon überambitioniert bei mehr als 22 Grad gestartet war, musste ich dort mit meinem ersten „DNF“ (did not finish) nach Hause fahren.
Das sollte 2019 nicht wieder passierten und so bereitete ich mich generalstabsmäßig vor. Bereits im November 2018 begleitete ich Sabine, Ines und Klaus bei den langen Sonntagsläufen in der Vorbereitung zu Sabines Debüt beim Wintermarathon.
Nach dieser Veranstaltung ging es an die Umsetzung des Greif-Plans und den Aufbau der Grundgeschwindigkeit sowie die Fortsetzung der langen Läufe. Christoph hatte nach seiner Knieverletzung langsam wieder zurückgefunden und konnte schmerzfrei die langen Läufe absolvieren. So kämpften wir uns zusammen abends durch die gefürchteten 4 x 2k oder 6 x 1k in der „Berg- und Talfahrt“ rund um die Brandbergehalle.
Viel wichtiger war jedoch, dass wir die 35km Läufe an den Wochenenden gemeinsam durchliefen inklusive der Greifschen-Endbeschleunigung.
Resultat der Vorbereitung. Wir fühlten uns schon 2 Wochen davor unbesiegbar und konnten den Marathontermin kaum abwarten. Trotzdem hatten wir beide unsere „Wackel-Momente“ (hält das Knie bei Christoph? Bekomme ich meinen Regentag zum Marathon?)
Das Wetter in Hamburg machte mir ein paar Sorgen, am 21/22. April herrschte dort strahlender Sonnenschein und entsprechende 22 – 24 Grad. Doch je länger sich die Tapering Woche hinzog, desto schlechter wurden die Aussichten für den Sonntag – 29. April. Zum Schluss stand fest: Ja, es gibt Regen (super) und die Temperaturen bis 12:00 Uhr werden maximal 13 Grad erreichen (perfekt).
Blöd für die Zuschauer – gut für mich. Also zurück zur Startlinie. Die Strecke in Hamburg führt durch nahezu alle Stadtteile und vor allem geht es die ersten 10km gefühlt nur bergab. Für mein Minimalziel unter 3:30 zu laufen, musste ein Pace von 4:59 her. Ab dem Halbmarathon wollte ich etwas steigern und ab km 38 mit der Endbeschleunigung schauen „wieviel noch im Tank ist“.
Wie beim letzten Hamburg-Start stellte ich meine Uhr auf 5km-Runden ein und beachtete nur die Pace dieser Runden.
Das Feld setzte sich in Bewegung und meine Uhr setzte aus (?!). Schreck! Die ersten 800m verbringe ich also damit, meine Uhr neu zu starten. Fängt ja gut an. Auf der anderen Seite weiß ich ja, was ich laufen muss, stelle meine 5km- Runden wieder ein und versuche, die 4:59 nicht zu unterschreiten.
Bei km 2 stehen Ines und Tim. Wir haben die „Treffpunkte“ fast 1:1 von meinem letzten Hamburg Marathon übernommen. Das Feld ist noch sehr dicht beieinander und so bleibt nur, kurz zu winken. Nächster Treffpunkt – etwas nach der 10km Marke.
Wir laufen Sankt Pauli und Altona in einer Nadel am Elbufer entlang. Nach 5 und 7,5km das erste Wasser. Diese Pappbecher überspringe ich, auf mich wartet mein persönlicher Drink. Erstes Gel bei km 8 und kurz nach km 10 an den Landungsbrücken treffe ich wieder auf die Familie, die wie vereinbart kleine 0,33l Trinkflaschen im Rucksack transportieren und mir eine davon reichen. Super!! Ich kann mein Wasser vernünftig, ohne anzuhalten, trinken und damit auch die erste Salztablette runterspülen. Genauso kann es weitergehen. Bei km 14 geht es in den Wallringtunnel für ca. 1000m. Das gleichmäßige Traben von 1000 Fußpaaren hallt von den Wänden wieder. Das Feld hat sich ein bisschen auseinandergezogen und so habe ich immer 5 – 10m vor mir Platz. Heute passt einfach alles – Hamburg eben. 2 Läufer vor mir haben offensichtlich genügend überschüssige Energie und so beginnt der Erste von 10 runterzuzählen.
Bei „1“ angekommen ertönt ein ohrenbetäubendes Grunzen auch 1000 Kehlen und man glaubt, dass die Erde erbebt. Wunderbarer Gänsehautmoment. Alle fühlen sich super und nach dem Tunnel hat auch meine Uhr nach 50min Pace (??) schnell wieder GPS gefunden und mir die vertrauten 4:55 – 4:59 angezeigt. Wir sind inzwischen an den Binnenalster – Hamburg Nobeleinkaufsmeile – angekommen. Einmal unrunden und weiter geht’s die Außenalster entlang. Nächstes Gel bei km 16 und der Versuch bei km 18 mein Salz mit einem Trinkbecher zu nehmen. Fail!! Der Becher schwappert, ich schlucke Luft, huste und spucke entnervt die Tablette wieder aus. Mist! Wie ich diese Becher hasse! Also warten auf den Halbmarathon, da steht Ines.
Beim Durchlaufen steht irgendwas von 1:46h dort. Durch den Ausfall meiner Uhr am Start habe ich meine Netto-Zeit nicht. Meine Pace war jedoch weiter sehr stabil also versuche ich, moderat zu beschleunigen. Kurz nach dem Halbmarathon warten Ines und Tim wieder mit einer Trinkflasche – ahh, das ist so viel besser als diese Becher!! Ich verliere kaum Zeit und kann im Lauftempo genüsslich weitertrinken und so meine Salztablette nehmen.
Kurz hinter einer Brücke bei km 28 balle ich die Faust – hier musste ich in Leipzig aussteigen – heute nicht!! Hier ist Hamburg und es hat nach einer Regenpause wieder angefangen zu nieseln und das heißt für mich – weiterlaufen!!
Mittlerweile bekomme ich relativ stabil meine 4:55 angezeigt. Bei km 30 (Ohlsdorf) ist die vorletzte Station mit der Familie. Vorher noch schnell ein Gel einwerfen. Ich sehe die beiden und lasse mich mit meiner kleinen Trinkflasche, zusätzlichen Gels und meinem Buff versorgen.
Für die letzte Station bei km 37 rufe ich schnell noch „Salz und Gels“ ab und weiter geht es ohne Pause. Das Wetter ist fast genauso, wie vor 2 Jahren. Ich halte mein Tempo beschließe, ab km 38 setze ich die Endbeschleunigung an. Hamburg feiert, der Regen hat nachgelassen und hier bei km 33 – 36 sind jede Menge Leute an der Strecke.
Gefährliches Terrain für Marathonläufer, die hier gern dem „Mann mit dem Hammer“ begegnen. Den kenne ich gut, aber für ihn bin ich heute nicht zu sprechen. Bei km 37, kurz hinter Eppendorf, steht meine Familie ein letztes Mal und ich schnappe mir Gel und Salz.
Die Trinkflasche habe ich vergessen – da ich jetzt hochdrehen will, ist mir das relativ schnell egal. Bei km 38 setze ich die Endbeschleunigung an. Erinnerungen werden wach. Ich fliege an den Läufern vor mir vorbei. Der Endorphin-Kick funktioniert erneut. Er schafft es sogar, dass ich eine Blase, die sich am linken Vorfuss gebildet hat, komplett ignorieren kann. Neben mir taucht ein Läufer auf, er möchte meine Zielzeit wissen. Nach dem Kilometerschild sind es noch etwas mehr als 3km. Ich habe inzwischen 4:40 – 4:45 im Display und teile nur mit, dass ich einfach so schnell wie möglich ins Ziel rennen werde. Er hängt sich dran – soll mir recht sein.
Kurz vor km 40 gibt es Cola, Traubenzucker und Gel – ich lasse alles „links liegen“ und sprinte weiter. Danach noch das Auto mit der Bullen-Zuckerbrause – vorbeirennen, keine Zeit. Immer noch kann ich Läufer überholen, mein Begleiter verabschiedet sich und fällt etwas zurück. Noch 1,5km – ich schalte nochmal hoch – man das läuft ja wirklich super. Ich kann schon den Messeturm sehen und dann bin ich endlich da, auf dem schicken roten Teppich – jetzt sind es wirklich nur noch 200 – 300m.
Noch 5 - 6 Läufer überholen und freue mich irre – als ich dann die Ziellinie überquere. Ich schreie meine Erleichterung heraus. Die Sanitäter neben mir schauen etwas irritiert, merken aber, dass es mir eigentlich gut geht. Es steht irgendwas von 3:28 dran – Minimalziel also erreicht. Halt! Das ist die Brutto-Zeit! Kurz das Handy rausgeholt und da ist sie, die neue persönliche Bestzeit von 3:26:16!!
In diesem Augenblick ist alles perfekt, das Training in der Kälte, die verhassten 16 x 400, Läufe um 21:00 Uhr mit Stirnlampe … alles egal. Dieser Moment wiegt alles auf. Natürlich der Anruf bei Ines – sie hat die Zeit schon längst mitbekommen und kann als Erste gratulieren. Zu diesem Zeitpunkt habe ich noch nicht einmal meine Finisher-Medaille.
In Hamburg hat man sich umorganisiert und nun wird generalstabsmäßig die Läuferschar erst zur Wasserstelle geleitet, anschließend bekommen wir die Medaillen und können uns in der 1. Messehalle stärken. Von Suppe über Tee, Obst, Riegeln und Bretzeln ist alles zu bekommen. Ich bin auf Platz 1704 gelandet, somit ist überall freie Fläche und auch beim alkoholfreien Bier muss ich nirgendwo anstehen. Auf einer kleinen „Teppichinsel“ sind Liegestühle und Bierbänke aufgebaut. Hier ziehe ich meinen linken Schuh aus und inspiziere meine Blase, welche aufgeplatzt war und die Größe eines 2 EUR-Stücks erreicht hatte. Nochmals vielen Dank an die Endorphine!!
Nach der Stärkung geht es in die nächste Halle – hier sind die Kleiderbeutel aufbewahrt und die Duschen installiert. Ich bin noch ziemlich unter „Strom“ und der Erschöpfungszustand stellt sich noch nicht ein.
Ines und Tim treffe ich vor den Messehallen wieder und mit der gut ausgebauten Hochbahn geht es zurück ins Hotel. Ein großes Stück Kuchen beendet das Abenteuer Marathon 2019 in Hamburg.
Wiederholungsfaktor = 100%
Text/Foto: Matthias Almich