25.07.2015 - Im Land der Steinböcke - der K78 Swiss Alpin im 30. Jahr
Seit nunmehr 5 Jahren nimmt Frank, der Verfasser, regelmäßig am Swiss Alpin teil, dem härtesten Berglauf der Welt. Diesmal war aber alles etwas anders, denn ich war in Begleitung von Christine, meiner Namensvetterin. Sie wollte schon immer mal in die Schweiz zum Laufen und so war es auch keine große Mühe für mich Christine zu überreden. Einzig die Strecke war anfangs nicht klar. So zog nur dieses einzige Argument: „Nur wegen Marathon so weit zu fahren ist rausgeschmissenes Geld.“ Das zog letztlich, Christine meldete sich für den K 78 an und trainierte fleißig im Vorfeld nach Ultra-Andys Trainingsplan. Anders war auch, dass ich mich nach meiner langen Verletzungspause wieder neu auf den langen Strecken finden musste. Dann ging`s endlich los und wir fuhren mittwochs mit dem Nachtzug in die Schweiz. Die Anreise verlief relativ ruhig, einzig auf dem Bahnhof in Halle wurden wir mit Wetterleuchten und Gewitter mit anschließenden Springfluten aus den Bahnsteiggullys verabschiedet. In Davos angekommen, checkten wir im Hotel Meierhof ein. Danach erste Höhenanpassung auf dem Flüelapass. Christine hatte kurzfristig Besuch von ihren Schweizer Freunden bekommen, welche dann mit uns zu besagten Pass fuhren. Dort war Fotoshooting sowie Essen und Trinken angesagt.
Neben Bündner Fleisch wählte Christine auch noch die Kombination Torte und Bier. Eine gesunde Mischung für dummes Zeug erzählen. Beispiel gefällig: Christine stellte die Frage, ob das an den Felsen da oben etwa Grünspan sei. Natürlich Nein, natürlich Moos… Nach dieser Fachsimpelei ging`s zurück ins Tal. Dort Verabschiedung der Schweizer Bekanntschaft und wir Zwei dann zur nächsten Höhenanpassung. Jetzt ging`s mit der Parsennbahn zum Weisfluhjoch. Das ist nicht nur schön hoch sondern auch eine atemberaubende und bizarre Felslandschaft. Dann wieder ins Tal wo wir dann unsere Startnummern abholten. Jetzt wurde Christine schon wieder hibbelig. Der Spannungsbogen steigt wieder. Vorläufiger Höhepunkt des ersten Tages war das Abendmenü. Das war wirklich superlecker.
Am nächsten Tag ging‘s gleich nach dem Aufstehen erstmal zum leichten Abschlusstraining um den Davoser See. Nach dem üppigen Frühstück dann gleich wieder raus in die Natur. Heute war die Schatzalp dran. Hier hatte 1924 Thomas Mann seinen Roman „Der Zauberberg“ geschrieben. Also sehr geschichtsträchtig der Berg. Wir erfreuten uns im Alpinum an der Vielzahl der dort wachsenden Pflanzen und Blumen. Danach besuchten wir noch meine Lieblingsstelle oberhalb des Alpinums.
Dort war ein kleiner Wasserfall wo wir uns von den bisherigen Anstrengungen erholen konnten. Uns half dabei eine Flasche Heldenblut… Ein Wolkenbruch beendete abrupt unseren schönen Tag und wir stürmten talwärts zur Bergbahn um dann wieder im Hotel anzudocken. Dort testeten wir dann das hauseigene Schwimmbecken und den Pool. Nach dem wieder tollen Abendmenü waren wir tolle müde und wir gingen zeitig schlafen. Es war ja die letzte Nacht vor dem großen Ereignis. Es ist Samstag 5.00 Uhr und wir wurden mit einem Kikeriki aus der Konserve aus dem Schlaf gerissen. Jetzt musste alles zügig gehen, frühstücken und dann die obligatorischen Startvorbereitungen treffen. Ihr kennt das alle. Pokern bis zum Schluss was man für Sachen anzieht. Ich zog das an, was ich schon letztes Jahr anhatte und das war diesmal falsch. Es war viel zu warm und das sollte sich rächen. Wir gingen zum Start und ich hörte das erste Mal die Worte von Christine: „Ich habe Schiss, jetzt geht’s ans Eingemachte“. Aber jetzt noch Kneifen? Das ist nicht der Anspruch eines LAVers.
Als letzte Startvorbereitung gab es noch eine leichte Massage der Oberschenkel- und Wadenmuskulatur mit dem berühmten Perskinol(schaut selbst im Netz nach was das ist). Um 7.00 Uhr dann der Startschuss und die Läufertraube schlängelte sich bei tollem Laufwetter langsam in Richtung Davoser See wo wir dann auf die Promenade abbogen und an unserem Hotel vorbeiliefen. Jubelnde Menschenmassen puschten dich hoch und man musste sich hier nach 3-4 Kilometern schon arg bremsen um nicht zu überdrehen. Das war auch das Motto bis zum großen Punkt in Bergün. Aber bis dorthin war es noch ein weiter Weg. Hier waren Ehrfurcht und Demut von den Bergers vor den Bergen unsere ständigen Begleiter. Zwischen Davos und Bergün ging es ständig auf und ab. Das Schlimme daran war, das wir noch nichts an Höhe gewonnen hatte. Die beiden Orte liegen fast auf gleicher Höhe. Nach ca. 12 Km erreichten wir das malerische Bergdorf Spina, hier machten wir unser erstes gemeinsames Foto auf der Strecke.
Weiter ging es durch Monstein, Schmelzboden und durch die Schlucht der Landwasser in Richtung Wiesen. Dort wurden wir nach 24 Kilometern von den Toten Hosen mit „Tage wie diese“ empfangen um dann das weltberühmte Viadukt mit einem atemberaubenden Blick in die tiefe Schlucht zu überqueren. Hier mussten wir einfach wieder unsere eigenen Fotos machen.
Nach 30 Km erreichten wir Filisur, jenem Ort, wo für mich im letzten Jahr Endstation war und es begann der mühsame Aufstieg nach Bergün. Hier hatte ich meinen ersten Hänger und musste Christine das erste Mal ziehen lassen. Ich kämpfte mich aber langsam wieder heran und wir erreichten fast zeitgleich den großen Wechselpunkt. Hier hatten wir unsere Sachen deponiert. Ich stieg aus den langen Sachen aus(ich hatte schon einen Hitzestau) und wechselte auf kurze Kleidung. Das Wichtigste hatten wir bis hierher immer beherzigt, uns ordentlich zu versorgen. Wasser, Cola, Salz, Alpinbrötli und natürlich auch Gels. Ich sagte immer wieder zu Christine dass es bis hierher nur Pillepalle gewesen sei, obwohl wir schon hunderte von Höhenmetern überwunden hatten. Denn jetzt wurde es ernst und der Aufstieg zur Keschhütte begann. Da waren auf 12 Laufkilometer ca. 1200 Höhenmeter zu überwinden. Die nächsten Kilometer gingen noch ganz gut, wir hatten einen gesunden Rhythmus zwischen Laufen und Gehen gefunden und unterwegs auch ein paar Bekannte aus der Magdeburger Laufszene getroffen (Petra Schultz). Doch am ersten schweren Anstieg gab ich Christine das Freizeichen: „Mach dein Ding“. Es fiel mir unheimlich schwer aber es war das Richtige, denn 2 KM vor der Keschhütte versagten meine Beine und der Kreislauf spielte wieder verrückt. Bei dieser Höhe kann das immer passieren. Ich hatte Glück das hier ein Sani war. Ich legte mich auf die Trage. Neben mir lag ein Mädel die gerade eine Infusion bekam, welche ich aber kategorisch ablehnte. In mir kreisten alle möglichen Gedanken durch den Kopf, auch der Helikopter ins Tal. Nach gefühlten 30 Minuten fühlte ich mich stark genug um den weitern Aufstieg zur Keschhütte zu wagen. Sehr geholfen hat mir dabei das Pfadfinderschild kurz hinter Bergün auf dem geschrieben stand: „Der Glaube versetzt Berge“. Mit langsamen und bedachten Wanderschritten schaffte ich dies auch. Jetzt war ich mir auch sicher, dass ich ins Ziel kommen würde. Noch einmal 300 Meter talwärts um dann den letzten Aufstieg zum höchsten Punkt der Strecke, den Sertigpass auf 2739 Meter zu erreichen. Hier waren 58 Km geschafft und die Belohnung gab es wenn man zurück ins Tal blickte. Einfach gigantisch diese Bergwelt.
Wo war Christine? Wie geht es ihr? Schafft sie es? Sie war zu diesem Zeitpunkt weit vor mir und hatte seit unserer läuferischen Trennung dies erlebt: Der Plan war mit Frank gemeinsam den Sertigpass zu erklimmen um dort unser LAV-Banner zu hissen. Auf dem Weg dorthin ging es an 2 malerischen Bergseen vorbei. Hier hörte ich auch merkwürdige Tierlaute. Mein erster Gedanke waren riesige Greifvögel. Aber es war ein völlig anderes Tier. Hätte ich gleich darauf kommen müssen, denn wir sind im Land der Murmeltiere. Und dann stand da auf einmal ein Prachtexemplar neben mir und gab mit lauten anhaltenden Pfeiftönen zu verstehen, dass ich in seinem Revier bin. Gigantisch. Jetzt waren es nur noch wenige hundert Höhenmeter bis zum Pass. Die bunte Läuferperlenkette schlängelte sie den Berg hinauf und man konnte in der Ferne schon die roten Zelte auf dem Gipfel sehen. Ich musste mich jetzt sputen den es wurde langsam kühlt, windig und neblig. Dann hatte ich den lang ersehnten Gipfel erreicht. Ich war stolz auf meine bisherige Leistung und etwas traurig dass ich ohne Frank hier angekommen war. Ich war glücklich und genoss ein paar Minuten die tolle Landschaft und die „dünne“ Luft. Von nun an ging es bergab. Auf schmalen Pfad, eigentlich muss man Geröllfeld sagen, denn es war Stein an Stein, tasteten sich meine Füße dem Tal entgegen. Und das bei höchster Konzentration. Da wo wir überlegen auf welchen Stein wir hüpfen da springen die Einheimischen wie die Steinböcke. Also keine Chance für uns Flachländer. Über Sertig Dörfli und Clavadel ging es dann über den Davoser Höhenweg in Richtung Ziel. Die letzten 2 Kilometer, man konnte schon Musik und den Stadionsprecher hören, lief ich auf Wolke 7. Im Stadion angekommen lief ein Freudenschauer über meinen Rücken als der Sprecher mich als Zieleinläuferin namentlich ankündigte: Christine Berger mit der Startnummer 160 ist im Ziel. Eine neue Ultra-Lady wurde gekürt(d.R.). Die Belohnung war ein ERDINGER alkoholfrei. Dann war ich in freudiger Erwartung endlich meine Steinbockmedaille in Empfang zu nehmen. Dafür hat sich die Qual gelohnt. Ich musste nicht allzu lange auf Frank warten. Er kam früher als geplant. Grund war, dass ihm vom Abstieg des Sertig bis ins Ziel niemand mehr überholt hatte. Das war also die berühmte zweite Luft. Glücklich aber geschafft suchten wir unser Hotel auf. Der Plan war jetzt Regeneration und Ruhe.
Am Sonntag nach dem ausgiebigen Frühstück genossen wir bis zur Abfahrt am Mittag wir bei einem Piccolo die eigentliche Regeneration im Whirlpool. Die Rückreise nach Halle verlief reibungslos und wir wurden so empfangen wie wir verabschiedet wurden: mit Freudentränen vom Himmel. Fazit dieser Sportreise: gemeinsam im Team erreicht man die gesteckten Ziele schneller. Der Swiss Alpin ist immer eine Reise wert und nur ein Lauf für Verrückte.
Weitere Infos unter:
http://www.swissalpine.ch
http://davos.r.mikatiming.de/2015/?pid=start
Text/Bild: Christine Berger, Frank Berger